Das gelbe Ufer auf Zudar

Fast 40 Jahre bin ich nach Rügen gefahren, dort Urlaub zu machen, immer nach Binz, der Perle Rügens. Viele Landschaften habe ich von dort aus besucht, die Granitz, das Mönchgut, die Stubnitz, den "hohen Norden" um Kap Arkona auch. Welch wundervolle Landschaften, in ihrer einzigartigen Vielfalt.

Eine Region hatte ich aber stets ausgelassen, die Halbinsel Zudar, warum auch immer. In den Jahren 2009/10 war ich in Begleitung einer Freundin dort, die feste familiäre Wurzeln auf Zudar hatte - und so lernte auch ich diese Landschaft kennen - und schätzen.

In Groß-Schoritz finden wir das Geburtshaus des großen National-dichters Ernst Moritz Arndt. Sein Vater war noch Leibeigener. Neben seiner dichterischen Leistung ging er vor allem durch sein Engagement bei der Mobilisierung des Volkes gegen die napoleonischen Besatzer in die Geschichte ein. Schließlich war er Historiker und Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung.

 

Später lebte er in Bonn, fühlte aber in sich stets dieses Heimweh nach seiner geliebten Insel Rügen:

 

Heimweh nach Rügen

 

O Land der dunklen Haine,

O Glanz der blauen See,

O Eiland, das ich meine,

Wie tut's nach dir mir weh!

Nach Fluchten und nach Zügen

Weit übers Land und Meer,

Mein trautes Ländchen Rügen,

Wie mahnst du mich so sehr!

Fern, fern vom Heimatlande

Liegt Haus und Grab am Rhein.

Nie werd' an deinem Strande

Ich wieder Pilger sein.

Drum grüß' ich aus der Ferne

Dich, Eiland lieb und grün:

Sollst unterm besten Sterne

Des Himmels ewig blüh'n!

Gleich gegenüber finden wir einen wunderschönen Lampenladen, "The Lamp Gallery", mit einem erstaun-lichen, allerdings auch hochprei-sigen, Sortiment. Betritt man den Laden, so fühlt man sich wie auf einer Zeitreise in das viktorianische Zeitalter. Es lohnt sich wirklich, nach einem Besuch des Museums auch den Lampenladen aufzu-suchen. Aber bitte reichlich Geld einstecken.

Doch machen wir uns nun auf den Weg zum gelben Ufer. Ein alter Landwirtschaftsweg aus Betonplatten liegt vor uns, die Stoßdämpfer freuen sich und wir lassen das Auto langsam rollen, so haben wir auch mehr von der Natur, von ihrer Weite, den Feldern und vor allem diesem unbeschreiblich schönen Rügenhimmel. Einzigartig sind die Wolkenbilder hier und immer wieder öffnet sich ein Blick auf den Strelasund, mit seiner hier doch sehr großzügigen Weite.

 

Vor uns liegt, in der Weite von Feldern und Wiesen, eine alte, stillgelegte Ferienanlage eines Betriebes, der schon lange nicht mehr existiert, in den frühen 90ern abgewickelt durch die Treuhand. Schlicht in ihrem Anspruch, setzt man heutige Maßstäbe an, bot es vielen Arbeiterfamilien die Möglichkeit, einmal im Jahr unbeschwerte Ferien zu machen, in frischer Seeluft, mit Nähe zum Strand, wo man im Strelasund badend, Meeresnähe ahnen konnte. Vollpension, vierzehn Tage Rügenlust. Wem mag die Anlage wohl heute gehören?

 

Das gelbe Ufer trägt seinen Namen zu Recht. Weit über den Strelasund und den Greifswalder Bodden leuchtet das Steilufer als prägnante Landmarke für den Seefahrer. Der Strand ist hier mäßig besucht, nicht solch ein Massenverkehr wie in den großen Seebädern der Rügenschen Ostküste. Es sind v.a. junge Familien, die den Strand besuchen, ballspielend, buddelnd, badend. Es sind v.a. die Väter, die mit den Kindern spielen, die Mütter liegen entspannt auf Decken, daneben Rucksäcke und Kühltaschen für den Tagesproviant. Hohe Baumgruppen spenden milden Schatten für jene, die die pralle Sonne nicht so mögen.

 

Auch wir schlagen nun unser vorüber-gehendes Lager auf. Ich mache einen Rundgang, einige schöne Motive für ein paar Fotos zu finden. Boddenwellen schlagen munter ans Ufer, es muss Windstärke vier sein, schon früh gebrochen, durch mannigfach verstreutes Gestein in der Brandung. In einem angespülten Schlick-gürtel endet der Wellen Kraft. Auf einem beträchtlich großen Stein, dort hinten an der Biegung des Ufers, steht ein Paar, wie ein Denkmal, über den Bodden schauend, den Augenblick atmend. Die Sonne wird gebrochen durch hochgewachsene Erlen-gruppen, die ihren Schatten auf den Strand werfen. Der gelbe Sand erhält so eine kontrastierende Unruhe, denn die Schatten wechseln durch munter dahinfliegende Federwolken.

 

M. holt ihre Malutensilien heraus und fertigt einige Skizzen zur Landschaft an. Dann holt sie ein Bild heraus, welches ich gestern am Strand von Thiessow begonnen hatte. Ich wollte ein Panorama des Blicks vom Strand auf den Horizont erfassen, besonders den des Usedomschen Ufers, was mir aber nicht so richtig gelang und so versucht M. nun, das Beste aus diesem Elaborat zu machen. Es scheint ihr zu gelingen. Ich hingegen habe mir vorgenommen, den Text zu meinem Song „Paupertown“, einen Song gegen Hartz IV, endlich fertig zu stellen. Im Urlaub 2004, als die unselige Schröder-Regierung Hartz IV etablierte, habe ich den Song begonnen, ihn aber nie beendet, warum auch immer. Die Musik dazu war schon 2004 fertig. Jetzt hat mich M. aufgefordert, es endlich zu tun. Die Stimmung ist gut, wie können bei diesem Blick vom gelben Ufer die Gedanken nicht fließen? Und so schreibe ich die zwei letzten Strophen – und siehe da, der Song ist fertig. Ich kann es selber nicht fassen. Also, vielen Dank M., für den Antrieb.

 

Deshalb erinnere ich mich sehr gerne an diesen Tag im August 2010. Es war die Landschaft und die eigene Kreativität, die diesen Tag zu einem besonderen machte.

Auf dem Rückweg machen wir noch eine Pause in Garz und besuchen dort den Friedhof, wo M.'s Schwiegermutter ein Gedenkstein gewidmet wurde. Sie hatte sich sehr um die Pflege des Erbes von Ernst Moritz Arndt verdient gemacht, nun steinernes Zeugnis eines Lebenswerkes.

 

© Ole Pauperkotte, August 2010