Von einem Tag zum anderen wurde es Herbst. Wieder morgens auf der Fahrt zur Arbeit.
Ich habe die Geschichte weitererzählt, wie der Sommer so sehr direkt umschlug und das wilde Spiel der Elemente so ungestüm begann...
Herbstanfang
Herbstzeit, 27.08.2003
... die Wirklichkeit hat uns ein. Schrieb ich gestern noch vom Spätsommer, hat uns der Herbst heute erreicht, schier ohne Übergänge. Der Sturm zieht über die Landschaft und der Himmel zeigt seine ganze graublaue Dramatik, Blätter, fast noch zu grün zum Sterben, wehen mir um die Ohren, viel zu früh in diesem Jahr.
Selbst mein kleines Flüßlein, das mit den Seerosen, welches sonst so friedlich vor sich hintreibt, wurde durch den Wind heute früh so heimgesucht. Das war schon mehr als ein leichtes Streicheln und die Wasseroberfläche schlug schon die Wellen eines kleinen Sees. Gegen die Strömung kämmte der Sturm das Wasser, so daß das Flüßlein schon in die entgegengesetzte Richtung schob, gleichsam einen Stau erzeugend. Und meine Weiden, die sonst so stoisch über den Ufern neigen, hatten heute einen sehr unruhigen Tag. Es war das Wetter der Krähen, die in großen Kolonnen, auf etwas Unbestimmtes wartend, auf den Ästen saßen.
Der Regen fiel nicht, er wehte horizontal hernieder, mit jeder Bö eine neue Schwade und ich hatte Lust, nun auszusteigen, ihn mir ins Gesicht wehen zu lassen, als Ausgleich gleichsam für die vielen trockenen Wochen und als Begrüßung des Herbstes. Ich tat es symbolisch, indem ich das Lied „…ihr Blätter, wollt ihr tanzen…“ vor mich hinsummte. Ja, immer nur diese Symbolik, nichts Reales, warum tun wir nicht, was uns gerade einfällt, warum habe ich nicht angehalten? Vielleicht, weil die Zeitsparkasse (Momo) mir keinen Dispokredit eingeräumt hat? Oder, weil dort vielleicht Halteverbot gilt und ich (fast) immer alle Regeln befolge? Viele Gründe gibt es, sehr oft als Ausrede, etwas nicht zu tun, obgleich man es doch wollte. Und man beläßt es dann dabei, nur selten denkt man später noch einmal drüber nach.
Der Regen wurde nun allgemein, er war das Dominante des ganzen Bildes nun. Die Sicht verschlechterte sich und was sonst in mannigfachen Farben uns erscheint, nurmehr ein grünverwaschenes Grau. Jetzt schien, als gäbe es nur solches Wetter, wie schnell man sich doch an Situationen gewöhnt und ich wage nicht, jetzt schon an die Tristesse eines späten kleinstädtischen Novembersamstagnachmit- tages zu denken. Noch ist alles so neu, so frisch und ich lasse mich mitziehen von dem Sturm.
Nur der Fischerkahn liegt so, als gehe ihn dies alles nichts an. Wie viele solcher nassen Überfälle hat er wohl schon erlebt. Sehnsuchtsvoll zieht er die Feuchte in sich auf, seine spacken Planken nach der langen Dürre wieder zu schließen. Ja, dieses Medium ist ihm vertraut. Der sonst so stumpfe schwarzgraue Teeranstrich hat nun durch den Regen ein gebrochen-spiegelndes Glänzen bekommen. Erlenblätter sammeln sich klebend auf seinem Unterboden. Nur selten gelingt es dem Sturm, eines von ihnen hinwegzureißen, so sehr klammern sie sich, als wüßten sie, daß hier ihre Fäulnis langsamer erfolgt, als in dem dichten Grase des Luchs, letzter Versuch einer Lebensverlängerung, wie töricht doch, denn der Wind wird den Boden unseres Kahnes trocknen und die dann eingerollten, nun schon braunen Blätter einfach hinwegfegen und sie werden sich zu ihren Artgenossen gesellen und wer weiß ob sie willkommen sein werden in der Gemeinschaft der Verfaulenden, ist doch die Mißgunst und die Unwillkommenheit auch die Tugend der Niedrigsten.
Die Pappeln in ihrer grazilen Biegsamkeit neigen sich bei jeder Bö gehorsam mit, aber, wie ein junges Mädchen, das im Gehorchen schon die Art des Widerstands ersinnt, stehen sie schon gleich hernach ganz senkrecht, wartend auf die nächste Attacke Ägirs. Bei ihnen sieht die Kraft des Windes immer viel gefährlicher aus, zu übertreiben scheinen sie, nicht um eitel auf sich aufmerksam zu machen, sondern um die Last zu übertreiben, auf daß der Sturm sich in Erbarmen übt. Wie ganz zufällig entdecke ich in dem Graugeschein der ganzen Landschaft einen Rest von Gelb, der in der Pappelreihe mir nun sagen will: ja, es wird Herbst.
Schon ist meine Fahrt viel weiter, das letzte habe ich ohnehin nur aus der Erinnerung zurückgeholt und eine Schranke wurde immer noch nicht gebaut, daß ich verweilen kann auf einen letzten Blick.
Aber meine Stimmung ist jetzt viel besser, weil ich es mitgelebt und den Herbst in mich gelassen habe. Ist das nicht ein guter Anfang???
Und wie bist du in den Herbst gegangen?
© Ole Pauperkotte, 27.08.2003