... Wir schauen einem kleinen Mädchen zu, bei ihren Versuchen, die Leichtigkeit des Seins zu üben - so ganz auf ihre Art, verweile kurz - und begleite mich auf ein paar Minuten...
... manchmal gibt es Situationen, da hört man etwas Unbestimmtes und es bauen sich Bilder auf – zu einer kleinen Geschichte... Ich will dir davon erzählen.
... unsteter Lärm dringt von draußen zu mir ins Fenster. Verkehr und Teile, die von einem LKW entladen werden, sehr lieblos klingt das, metallern poltern sie auf die Erde. An den Ampeln fahren Autos an und haben bei jedem Start solche Eile, als wären sie auf der Flucht vor einem Henker. Dabei denken sie doch nur, sie müssten sportiv fahren und dem Nachbarn beweisen, die Pferdestärken unter ihrer Haube wären sie selbst, es ist quasi eine Identifizierung mit ihrem Auto, nicht mehr die Inkarnation, die Fleischwerdung eines Geistes, sondern die Metallwerdung des Menschen. Alles sind wir doch durch unsere Dinge und wir definieren uns nicht mehr über unsere Taten, Erfahrungen, Haltungen und Beziehungen. Unsere gesamte Welt ist blechern geworden und wir sind es auch.
Ein leichter Wind säuselt jetzt durch eine Pappelreihe vor meinem Fenster und aufgeregt gleich fangen die Blätter an zu rascheln. Wie aufgeregt? Als bäten sie noch um wenigstens 7 Tage Gnadenfrist, ehe der erste große Herbststurm sie dann erbarmungslos holen wird. Das wissen sie und trotzdem scheinen sie dankbar um jede Stunde zu sein, die letzten Sonnenstrahlen auszukosten.
Ein kleines Mädchen kommt jetzt mit einem Puppenwagen in das Bild, leicht ungelenk schiebt sie ihr Gefährt, durch ungestüme Körperbewegung das Schieben zu unterstützen. Sie lässt ihren Wagen stehen, schier unbewacht und hat ein neues Spiel entdeckt. Größere Mädchen haben ein Hopsenraster aufs Pflaster gemalt, denen hat sie immer zugeschaut. Schon immer wollte sie es den Großen gleichtun, jetzt, da sie ganz allein, tritt sie heran an das erste Kästchen, das es nun zu behüpfen gilt. Aber, ach, trotz hundertmaligen sehnsüchtigen Zuschauens hat sie doch den Algorithmus nicht kapiert und nun hüpft sie eben so, wie es richtig sein müßte, vorsichtig zum Anfang, immer wieder einen Schritt zurückgehend, immer wieder eine Korrektur scheinbar und irgendwann ist es dann egal, nun hüpft sie einfach, wie es ihr in den Sinn kommt und ihre Bewegungen werden nun dynamischer, selbstbewusster und es kommt Freude am Springen in ihre Körpersprache. Ja, so macht es Spaß! Egal, wie die Regeln, tu es, tu, was dir Spaß macht! Das ganze Leben wirst du noch gehorchen müssen, Regeln befolgen und Gesetze und du wirst schwer zu tragen haben an dem Ballast, den Fremde dir auferlegen werden.
So lange sie den Großen auch zugeschaut und immer wieder mal hopsen wollte, so schnell vergeht auch die Lust wieder an ihm. Das ist das Schöne an den Kindern: jede Idee wird schnell geboren, die Tat erfolgt umgehend und wie ein Wind, der um die Ecke weht, ist alles dann auch schon vollendet. Oh, beneidenswerte Kreaturen. Das ist das Schöne am Fehlen jeder Verantwortung.
Jetzt geht sie wieder zu ihrem Puppenwagen, schiebt weiter, wie sie gekommen. Ein kleines Kätzchen kreuzt ihren Weg, sie ruft ihm etwas zu, aber stolz passiert es. Dann verschwindet sie hinter der Ecke des gegenüberliegenden Hauses und der Hof ist wieder menschenleer, der reinen Natur überlassen. Die Kleine hat mir für fünf Minuten Freude geschenkt und im Stillen danke ich ihr.
Bin jetzt wieder ganz allein mit der Natur. Ach, wie ein Kontrapunkt war sie doch, ein Farbtupfer in dem Gelblichgrün. Ja, wenn wir ganz allein mit ihr, wie preisen wir ihre Attribute. Treten Menschen oder ihre Dinge hinzu, so werden sie doch gleich zum Mittelpunkt unseres Interesses. Also müssen wir allein mit der Natur sein, ihre Details genauer zur erkennen, uns an ihr zu erfreuen? Vielleicht gibt es aber auch Momente an Zweisamkeit, die uns nicht nur ablenken von ihrer Schönheit. Vielleicht gibt es ein Ergänzen, ein sich gegenseitig aufmerksam machen, für Details, die der Andere schon vor uns erblickt. Ja, das wäre schön: gemeinsam die Natur zu entdecken und zu preisen….
18.09.2003 © Ole Pauperkotte