Eine Fahrt zur Arbeit durch eine märchenhafte Spätsommerlandschaft
entlang der Spree bei Neu-Zittau. Impressionen nach einer langen
Hitze und Dürre. Die Geschichte eines alten Fischerkahnes...
Später Sommer
Impressionen. Spätsommermorgen 26.08. 2003
Heute ist so ein schöner Morgen gewesen. Ich war unterwegs und bin über Land gefahren. Es war solch eine Kühle, eben der Morgen eines schon sehr späten Sommers. Es schien mir, als würde der Abschied von diesem Sommer dem Jahr so leicht fallen, als wäre er ein ungeliebtes Kind, welches nun endlich das Haus verlässt, so fast gleichgültig will es nun schon in den Herbst hinüber gehen.
In den Niederungen sammeln sich nun schon die dichten Nebelschwaden und die so früh noch liegenden Rinderherden wirken farblos und nur schemenhaft in ihren Umrissen. Aber es hat alles so eine Frische, sogar ein leichtes Frösteln stieg in mir auf und beim Fahren zog ich mir schnell meinen Pullover an. Ein sonst so lebendiges Flüßlein schlängelte sich träge in seinen Windungen, so vernachlässigt von der Trockenheit des letzten Sommers. An seinen Ufern kann man erkennen, wie hoch es sonst steht.
Es ist die Zeit der Seerosen, die jetzt in kräftigem Gelb der Welt sich öffnen, des Morgens aber noch nur sehr verhalten. Schön verbreitet haben sie sich in diesem Sommer, wie ein Teppich und man spürt: hier gibt es nicht die Rastlosigkeit des modernen Wasserverkehrs, welcher alles Leben durch die Kraft unruhigen Wellenschlags unterbindet. Hier findet alles noch seinen Frieden, wie in fernen, schon so sehr verlorenen Zeiten, als der Fischer noch mit seinem schmalen Kahn auf flachem Grunde zu den Reusen stakte.
An dieser Stelle möchte ich verweilen, mich an den Stamm der alten Weide lehnen und ein Buch mit Herbstgedichten aufschlagen, möchte in die Gegend schauen und von „der alten Sonne“ Hermann Hesses träumen, Replik gleichsam an den vergangenen August, wie er ihn dort so schön beschrieben. Meine Stelle ist ein Luch, welches bei hohen Wassern überflutet und dann als riesiger See zum Kanu fahren einlädt, sonst aber, bei Normalwasser, sich als eine riesige Wiese zeigt, mit hohen, sauren Gräsern und Sumpfblumen dicht bewachsen.
Ein alter Fischerkahn liegt kieloben und man sieht ihm sein Alter wahrlich an. Wie viele Teerschichten haben wohl wie viele Generationen auf ihn gebracht. Er ist bestimmt seine sechzig Jahre alt, denn später wurden solche Kähne nicht mehr so gebaut. Was würde er mir erzählen, wenn ich ihn zu seiner Biographie befragte?
Ich würde von guten Zeiten und von schlechten Zeiten hören, so wie es stets periodisch auf und ab geht mit uns. Ich würde von Zeiten hören, da Fische noch gefragt waren und, wie wichtig für seinen Besitzer, auch noch ihren Preis hatten. Ich würde von Zeiten hören, da mein Kahn vielleicht ein Volkseigentum war, oder auch von einer militärischen Besatzungsmacht requiriert.
Ich würde die verschieden Namen erfahren, die er trug, wie es so aus unerfindlichen Gründen Brauch, daß neue Eigner den Objekten ihrer Liebe neue Namen geben. Heute heißt er „Seensucht“, ich merke, der Eigner hat Humor, schöne Doppeldeutigkeit. Früher trug er vielleicht einen Frauennamen, vielleicht „Martha“ oder „Katharina“, später mochte er „Hans Beimler“ geheißen haben oder „7. Oktober“.
Ich würde vielleicht die Geschichte einer ersten Liebe erfahren, wie sich junge Pärchen immer wieder auf ihm trafen, die ersten Zärtlichkeiten auszutauschen, ein dorfbekannter Treffpunkt über viele Generationen. Schon die Urgroßmutter hatte dort ihren Urgroßvater kennengelernt und das Schöne: immer war es zum Anfang die gleiche zarte Liebe, bevor sie zum Alltag wurde und so vieles im trockenen Sande des Gewöhnlichen zerrann. Wovon mögen die Altvorderen geträumt haben? Hatten sie die gleichen Träume wie wir? Eines wollten sie alle bestimmt: glücklich sein und dies gemeinsam.
Aber, was unter Glück zu verstehen ist, da setzen die Zeiten verschiedene Maßstäbe. Vielleicht gibt es aber einen ganz allgemeinen Grundnenner… Kennst DU ihn???
Aber die Unrast des Erwerbslebens treibt mich weiter und schon ist mein Auto um die nächste Kurve und mein Bild nur noch Erinnerung. Aber ich habe es gespeichert und es war wieder einer jener
schönen Augenblicke, die zu merken es wert sind. Ach, könnte hier nicht eine Schranke stehen, die gerade geschlossen wurde?
© Ole Pauperkotte, 26.08.2003