... Wir stehen am Ufer eines kleinen Fjordes. Es ist Abend und die Elemente wirken noch mit Urgewalt. Scheinbar will der Tag heute nicht zur Ruhe kommen – und in der Tat – er endet mit einer Überraschung...
Stellen wir uns an das Ufer eines kleinen Fjordes - hier ganz in meiner Nähe - und sehen den letzten Fischern zu, die auf windzerfurchtem Wasser ihrem Hafen zustreben, denn heute ist es sehr stürmisch und die Gischt geht jedes Mal immer wieder grob zerstäubend über das Vorschiff. Es ist die Zeit, wo sie ihre Mützen enger in das Gesicht ziehen und ein leichtes Frösteln kriecht in ihre sonst so harten Knochen. Mehr Heimweh ist es, als die eigentlich gar nicht so kalte Luft, denn der Tag war lang und die Beute karg. Wie so oft schon in diesem Jahr und die Not wird vermehrt durch die gefräßigen Kormorane, die paradiesisch naturgeschützt, auf den Reusen ihre Stammplätze gefunden haben. Wie im ganzen Leben, so finden wir den allgemeinen Niedergang auch an diesem Abend mit unserem Blick auf den kleinen Fjord.
Mein Blick fällt auf einen Reiher, der wie ein kleines Modellsegelflugzeug an mir vorbeizieht, majestätisch segelnd, nur sporadisch mit den Flügeln etwas nachhelfend, vielleicht auch nur aus leicht lässigem Übermut. Ihm scheint es gut zu gehen, seine Beute scheint täglich sicher und die Population hat sich in den letzten Jahren prächtig entwickelt. Schon will ich meinen Blick auf ein kleines Kanu wenden, welches sich, in Ufernähe Schutz vor den hohen Wellen suchend, mühsam gen Westen in die untergehende Sonne hineingräbt. Ein einsamer Mann um die Fünfzig ist es, etwas unrasiert, seine Paddelbewegungen stetig, kraftvoll, bestimmt. Ein markantes, ja kantiges Gesicht erzählt mir von Entschlossenheit. Aber, ich habe keine Zeit, ihn weiter zu verfolgen.
Der Reiher kommt ganz dicht auf mich zugeflogen, mit etwas hektischem aber dennoch eleganten Flügelschlag kommt er in ca. zwei Metern Distanz vor mir zum Landen. Erst steht er nur so da, in einer für meine Beobachtung neuartigen, sehr eigentümlichen Würde. Sehr aufrecht und mit schier aristokratischen Kopfbewegungen, jetzt kommt er mir sogar etwas arrogant vor, er scheint zu übertreiben.
Nicht genug, er spricht mich auch noch an. mit schnarrender, gar nicht so menschlicher Stimme, eher eine Symbiose aus Computerspiel und Kasernenhofhaupt-feldwebel - letztere haben ja in der Tat auch wenig menschliche Züge. In leicht gebrochenem Deutsch stellt er sich vor. He du, ich bin Erasmus von Tankow, der Belegschaftssprecher der Flugreiher aus dem Reiher-Liebesbotschaft-übermittlungsdienst.
Wir fliegen für die Liebenden und mit ihnen. Größte Entfernungen legen wir zurück und bringen sie zu ihm und umgekehrt. Den Liebenden sind wir wohlbekannt und sie zahlen gerne den geringen Lohn. Wie kann man solche Leistung auch in Geldäquivalent ausdrücken? Wir gehören zur Gilde der alten Fährmänner, die in den tiefdunkelblauen Stunden in warmen Mittsommernächten ihre stillen Fahrten machen, mit dem gleichen Zweck wie wir, wenn die Frauen vor die Häuser gehen, den fernen Liebsten über den Mondstrahl zu grüßen und wenn auch die männlichsten Männer beginnen, Gedichte zu schreiben und über wirkliche Männlichkeit nachzudenken...
Mach dich auf, sagt nun Erasmus zu mir, der Fährmann wartet gegen elf Uhr abends. Du mußt heute noch hinüber über den Fjord. Drüben, in der Sismondigasse 3a wird jemand gebraucht, der Nachhilfe für Kostenrechnung geben kann...
Fies grinst der Reiher, zwei Flügelschläge reichen und er segelt mit einem Hexengekicher davon. Immer kleiner wird seine Gestalt, im Grau der Abenddämmerung verschwindend....
Oh, ich mag solch Erwachen aus Träumen nicht...
© Ole Pauperkotte