Signora Fiorasolas Reise nach Cortona
Ich fahre in die Toskana, lasse die Sorgen zu Hause, nehme sie gar nicht erst mit. Sperre sie schon am Abend in die Besenkammer, soll ein anderer sie rauslassen, vielleicht verkümmern sie auch ganz dort und sie erreichen mich nie wieder.
.... Unten im Tal schlängelt sich eine Straße als Serpentine den Berg hinan. Wie auf einer Spielzeugeisenbahn läuft geschäftiges Leben vor uns ab, ganz weit in der Ferne dort unten. Und oben sind die Riesen, die dort stehen und als könnten sie die Fäden des Lebens ziehen, scheint alles nur nach ihrem Willen sich zu bewegen. Scheint es! Doch immer wieder gibt es Ausreißer, die sich ihrem Gesetz nicht fügen wollen, diese nennt man die „Troublemakers“ (die Stänkerer). Immer wieder bekunden sie öffentlich ihren eigenen Willen durch Wort und Tat. So kommt es bisweilen vor, daß sie nicht die Stadt am Gipfel des Berges aufsuchen ihre Kontributionen zu leisten und widerspenstig in eigene Projekte investieren.
Die Riesen können das nicht durchgehen lassen. Wenn jeder das täte, wovon sollten dann die Riesen auf dem Berg leben und die reiche Stadt. Ewiger Brauch ist es, die Früchte des flachen Landes auf den Berg zu bringen und damit Recht der Riesen. Aus ewigem Brauch wird schnell Recht, so ist es eingerichtet in dieser Welt. Und so erklimmen immer wieder kleine Fahrzeuge über die Serpentine den Berg. Braun sind ihre Gesichter und vom Wind zerfurcht, gegerbt die Haut von Sonne, Wind und Regen. Es sind Gesichter der Redlichkeit und der Naivität. Sie ahnen nichts Böses, wenn sie sich mit ihren Karren den Berg hinaufquälen. Wie ein Naturgesetz scheint es. Woher auch soll der Argwohn kommen? Von ihren Eltern und Grosselten und wieder von jenen ist es überliefert.
Doch heute, an einem Freitagabend packt Frau Martona Fiorasola, die Frau mit dem Gesicht der Sonnenblume ihren Koffer, sich auf den Weg zu machen zu der Stadt auf dem Berg, Gerechtigkeit zu schaffen für jedermann. Morgen wird sie ihre Reise antreten nach Cortona,, alles ist schon gut durchdacht. Und die Riesen kommen schon langsam in Unruhe. Sie treten auf der Stelle, ist ihre Stunde gekommen? Martona Fiorasola überlegt noch nach den Worten. Was wird sie den Karrenfahrern sagen, jenen, die nicht zu den Troublemakern gehören, jenen, die immer gehorchen, gegen ihre eigenen Interessen handeln?
Ich weiß nur eines, sie wird es mit Güte tun. Und sie wird keinem weh tun, nicht mal den Riesen, sie ist jener Typ von Mensch, der auch noch die Riesen bekehren wollen. Sie wissen, daß es oft aussichtslos ist, aber wenn wenigstens ein Sünder bekehrt wird, so ist der Erfolg wichtiger, als wären es zehn Gerechte.
Avanti, Signora Fiorasola, mach dich auf den Weg, den Gerechten beizustehen und die Despoten zu vermenschlichen, auf daß unsere Welt wieder ein bißchen besser werde...
.... Endlich ist es soweit und sie kann die lange geplante und weite Reise antreten. Als sich ihre beschwerliche Fahrt nach vielen Stunden dem Ende nähert, der kleine müde Zug, mit scheinbar letzter Kraft, sich den steilen Berg hinauf müht, kann Fiorasola nun genau die dicken brauen Mauern und die hohen Türme ausmachen, die diese alte Stadt beschützen und nach der sie sich so lange gesehnt hat. Schon bei der endlosen Fahrt durch die fruchtbaren grünen Haine, gesäumt von den ehrwürdigen Zypressen und Oliven, hat sie weit ihr Fenster runtergekurbelt um die einmalig weiche Frühlingsluft einzuatmen und ihrer Lieblingslandschaft erste grüße zu zuwinken, ihrer Freude nach zu geben.
Als sie dann auf dem alten, kleinen Bahnhof die steilen Stufen ihres Abteils herab klettert, umringen sie gleich ihre treuen Freunde, die ihr Ankommen mit Musik und Blumengirlanden würdigen. Zwischen den, vom Staub der Jahre und ihres Anstriches beraubten Lampen haben sie bunte Fähnchen und Blumen gespannt und unter ihnen steht eine bunt zusammen gewürfelte Gruppe von Wind Wetter zerfurchter Gesichter in ihrem Festtagsstaat, um auf ihren alten, leicht verbeulten Instrumenten, ein Willkommensgruß zu entbieten. Die anderen Reisenden bestaunen diese Zeremonie und drehen belustigt ihre Köpfe aus den Fenstern, als sie von den queren Tönen der verschiedenen Instrumente aufgeschreckt und Zeuge dieses kleinern Volksfestes werden.
Nicht jeden Tag erlebt man hier so eine fröhliche Begrüßungsfeier und als sich danach Guiseppe und Sophia mit Mortona in die Arme überschwänglich fallen, muß sie sehen, daß deren Aussehen sich inzwischen sehr gewandelt hat. Wo ist der frohe Glanz ihrer Augen und die aufrechte Haltung des alten Umbriers geblieben? Auch Sophia blickt so sorgenvoll und ihre gute Kleidung schaut auch sehr abgetragen aus, läßt bessere Zieten nur noch ahnen. Martona hat ja aus den Berichten ihrer alten Freunde vorher vernommen, wie schwer alle Bewohner der Umgebung unter dem strengen Joch der Riesen Bilanzio und Capitalo leiden, die Schraube der Auspressung und Demütigung immer stärker angezogen wird und ihnen kaum noch das notwendigste zum Leben bleibt. Vorbei die glücklichen Zeiten, als die stolzen Bewohner der Stadt Feste feiern und ihre ehrwürdige Stadt erhalten, gar neue Häuser und Straßen bauen konnten oder regen Handel mit der Nachbarregion pflegen. Alles ist nun dem Diktat und der Kontrolle ihrer gewaltigen Beherrscher unterworfen und keiner findet den Mut dagegen auf zu begehren.
So haben sie ihre treue alte Freundin Martona um Rat und Hilfe angerufen und diese hat sich ohne zu zögern, auf den weiten Weg gemacht. Dabei war ihr lange nicht klar, wie ihre Hilfe denn aussehen könnte, man die starken, unerbittlichen Riesen zum Einlenken bringen könnte. Umso aufgeregter ist sie nun, ihre Gedanken den Freunden zu unterbreiten und bald dem überlebten Treiben ein Ende zu setzen, wenn nur alle mitmachen... An diesem Abend wird ein frohes Begrüßungsfest in Garibaldigasse gefeiert und mit vom Wein verklärten Augen hängen alle an ihrem Mund, um als bald ihren Plänen zu lauschen. Wie soll man nun dem Treiben auf dem Berge ein Ende setzen?
Es versteht sich, daß allein mit guten Worten keine Änderung erreicht wird und gewaltsam wollen sie sich nicht zur Wehr setzen, weil die Riesen ihnen doch zu übermächtig erscheinen. So bleibt nur der Weg mit einer List und Überzeugung diesen Spuk zu beenden, erklärt sie ihnen im Licht der blakenden Öllampe und die müden Gesichter nicken ihr zustimmend zu. Sie beschließen auch als bald diesen Plan in die Tat umzusetzen und treffen ihre Vorbereitungen...
Wenige Tage später sieht man wie sich eine lange Karawane die gewundne Straße hinauf bewegt. Das ist kein ungewohnter Anblick, treiben doch die Bewohner seit Jahr und Tag ihre müden Esel mit ihren Tributen für die beiden Riesen hinauf. Doch dieses Mal sieht die schwere Fuhre etwas ungewohnt aus. Hingen sonst Bündel mit frisch geernteten Obst oder Gemüse, Weinballons oder Räucherschinken und duftendem Brot auf den Rücken der abgearbeiteten Tiere. Kann man diese Mal seltsam geformte hohe Tongefäße mit bauchigem Körper und einem langen schmalen Hals beobachten. Was mag das nur bedeuten und wem gilt die Fracht? Martona hat sich in etwas Abstand ihren Freunden angeschlossen, um sie hinauf zu den faulen, grobschlächtigen Gesellen zu begleiten und ihren Plan in die Tat umzusetzen....
Oben, in der mittäglichen Hitze angelangt, wird der Tross schon von den hungrigen Kerlen erwartet und gleich bedrängt, seine Gaben auszubreiten. Nun ist die richtige Zeit, den Beiden eine Lehre zu erteilen, meint Matona und stellt sich zu ihren Freunden. So gleich werden sie angeherrscht, wo die versprochenen Haxen und Entenbrüste bleiben, das eingelegte Obst, gar der frische Tiramisu vergessen wurde??
Das ist der rechte Einsatz für unsere Italienreisende und sie erwidert beherzt, man möge doch nur in die mitgebrachten Krüge sehen, die alle Wünsche in sich tragen, um sie vor der heißen Glut zu schützen.
Zugleich machen sich die gefräßigen Riesen daran, ihre dicken, einfältigen Köpfe tief in die Krüge zu stecken und zu schnüffeln, wo wohl die leckersten Dinge sich verbergen... Dabei geraten sie so tief in das Innere, daß sie hilflos darin stecken bleiben und zu schimpfen und zu schreien anfangen, was eine Weile später in verzweifeltes Weinen und Flehen übergeht. Darauf haben alle nur gewartet und die müden und so ausgemergelten Bewohner stoßen sich lachend an. Doch so schnell wollen sie die beiden nicht erlösen, damit sie sich immer daran erinnern. So erschallt den ganzen Nachmittag das müde Klagen und Jammern dieser Gesellen, bis sich die Bauern entschließen, mit einem Knüppel die Krüge zu zertrümmern und den Riesen wieder ihre Freiheit zu geben, nicht bevor sie verpflichtet haben, von künftigen Forderungen abzurücken und stattdessen die armen Leute bei der schweren Feldarbeit zu helfen, nach neuen Brunnen zu graben, Wälder zu roden und auf´s Vieh zu achten. Dafür wollen ihnen dann die klugen Bauern gern einen Teil ihrer Ernte und ihres Fleisches abgeben, daß alle ihren Nutzen und Auskommen haben.
So kommt es, daß man von nun an eine seltene Mischung von Bauersleuten und Waldarbeitern in der Umbrischen Landschaft ausmachen kann. Und in großer Eintracht und gegenseitiger Hilfe leben fortan diese so ungleichen Bewohner nun friedlich miteinander und es ist schon vorgekommen, daß die Riesen ein frohes Ständchen auf einer Hochzeit im Tal aufgespielt haben und auch das ein mutiges Bäuerlein, nem´ kranken Riesen einen Zahn raus gemeißelt hat, alle sind gute Freunde geworden.
Martona konnte zufrieden und mit dem Versprechen, im nächsten Frühling zurückzukehren, wieder in den Norden fahren. Als sie doch mit etwas Wehmut die geliebte Stadt verlässt, kullern ihr dennoch ein paar Tränen aus den Augen, so sehr liebt sie diese Stadt und ihre Leute...
Also, macht euch auf, warum zögert ihr noch, Cortona und das schöne Umbrien zu besuchen?
© Martha Lenz / Ole Pauperkotte, August 2004