... Wir stehen am Schwarzen See beim Grab eines finnischen Kriegers...
Stell dir vor, du befindest dich so unvermittelt vor ihm, so beschwerlich auch der Weg zu ihm war. Du bist bei seinem Anblick sogleich verzaubert. Mir sind noch ein wenig die Strapazen des etwas anstrengenden Radweges ins Gesicht geschrieben und schon holt mich der stille Zauber dieses verwunschenen Ortes ein.....
Umrahmt von alten hohen Buchen und Erlen liegt in einer überwältigenden Feierlichkeit dieser kleine See ausgebreitet, lädt dich zum Verweilen und Träumen ein und jedes Mal überkommt mich diese eigene Stimmung, so oft ich auch zu ihm zurückkehre. Vielleicht liegt es auch an unserem heutigem Leben, der ganzen Unrast und dem Fehlen von etwas Bodenständigkeit und Besinnung... Umso mehr genieße ich es, hier immer wieder Einkehr zu halten und das Besondere dieses Ortes aufzunehmen und wieder aus mir fließen zu lassen...
Der kleine, aus grobbeschlagenen Buchenholz gezimmerte Steg, lädt dich zum Verweilen ein und du fühlst dich, wie beim Betreten einer winzigen Theaterbühne. Auf dem stillen See schweben große Seerosenblätter schier unbewegt dahin und vom dunklen, dichten Grund steigen leise Faulgase aus dem modrigen Boden auf.
Unzählige Libellen, in türkisem oder goldenen Hüllen, stehen tanzend über dem trüben Wasser und ganz winzige Fischlein schießen unter dem Steg dahin. Ihre größeren Begleiter tummeln sich derweil ganz ruhig in ein wenig Abstand zum nahen Ufer.
Die Seerosen wollen ihre dichten gelben Blüten noch nicht so unbedacht öffnen, als warten sie auf ein besonderes Zeichen, einen würdigen Anlaß. Eine seichte Bö erzeugt ein leichtes Schwingen auf dem müden Wasser und bewegt das Ensemble sacht, daß die von unzähligen Insekten zerstanzten Oberflächen der Seerosenblätter auf dem See ständig neue Muster zaubern. In mir erwächst der leise Wunsch, mich auf einem, von ihnen, ganz langsam über den scheinbar, verwunschenen See treiben zu lassen, nie mehr weg zu gehen.
Als ich meine Augen wieder öffne, ist der Wind zu neuem Rauschen erwacht und sein munteres Blasen läßt die jungen Erlenschösslinge und das verspätet blühende Wiesenschaumkraut leicht erzittern und ich fühle diese unruhige Erwartung auch auf mich übertragen.
Die lebensfrohen Libellen, kleinen schwebenden Feen gleich, laden beschwingt zum Tanzen ein, daß der Betrachter ihrem flinken Wechsel und Pirouetten kaum zu folgen vermag und den Blick nicht lösen kann... Ein offensichtlich etwas müderer Begleiter ruht derweil an einem langen Halm dicht über der dunklen Wasseroberfläche aus, wie bei einer stillen Einkehr an diesem besonderen Ort. Aber, sobald sich die ersten Sonnenstrahlen wieder zwischen den kleinen Wolken hervorscheinen, verwandelt sich sein Wasser wieder in reinstes Blau.
Mein Blick sieht ganz leise kleine Luftbläschen an einem Seerosenstiel nach oben steigen, die sonderbar geheimnisvoll sich deuten und mein nun geschärftes Auge nimmt die Gestalt einer ganz winzigen, noch etwas orientierungslosen Elfe wahr, die eben, an diesem Stiel gleitend, ihren Weg in unsere Welt fand. Der große dunkle Fisch Schnakan Ashkajor hat mit kleinen Luftblasen ihr schönes Werden befördert. Sie schwingt sich vorsichtig auf das fleischige Blatt, um darauf ihr regenbogenfarbenschimmerndes Gewand zu trocknen und mit blanken Augen aufmerksam ihre neue Umgebung zu betrachten. Ein Schwarm von summenden, beflügelten Hofdamen umkreist dabei diesen feierlichen Ort, als wollten sie, die ihnen Anbefohlene sorgsam behüten.
Mein auserwähltes Seerosenblatt löst sich derweil ganz unvermittelt aus dem Bund seiner Schwestern und deutet mit einem stillen Blick, mich mit ihm aufzumachen, zu neuen, unbekannten Ufern...
© Martha Lenz / Ole Pauperkotte August 2004