Kinderfreundschaft

Die rechten drei Kinder sind mein Großvater und meine Großtanten, aufgenommen ca. 1905 in Drosdowo (Westpreußen)
Die rechten drei Kinder sind mein Großvater und meine Großtanten, aufgenommen ca. 1905 in Drosdowo (Westpreußen)

 

Ich erzähle dir von einem Stapellauf -
und kindlicher Teilung der Arbeit,

ehrlich und aufrichtig.
Ohne Gedanken an Rendite...

Komm mit nach Schloma-Raja...

Kinderfreundschaft

 

... aber, da ist etwas, diese Sehnsucht nach freier Bewegung, einmal wieder hüpfend durch eine enge Gasse gehen, mit den Schultern wackelnd, wie ein Heranwachsender. Ach ja, ich würde es gern einmal tun und - werde ich je wieder klein sein, mach ich einfach einen Hopserlauf und wenn die Straße noch so voll ist. Machst du mit? Stell dir vor, wir hopsen gemeinsam durch die volle Einkaufsstraße, die Brandenburger Straße in Potsdam vielleicht, oder durch den Park von Sanssouci. Oh ja, das wäre schön. Kindlichkeit – hol mich wieder ein! Ich bin der kleine Pan, der mit dem verschmitzten Gesicht, hab eine Baskenmütze mit einem Schniepel auf dem Kopf, die mir immer über die Augenbrauen rutscht, weil sie viel zu groß ist, ein rot-blau-kariertes Hemd und eine grobe Stoffhose, die an ledergeflochtenen Hosenträgern hängt, ganz locker, denn sie ist viel zu groß, weil sie, wie alle Kleidung meiner Kindheit auf Zuwachs gekauft wurde. Über das Hemd hat mir meine Mutter einen kurzärmeligen Pullover gezogen, immer in Angst, es wäre zu kalt draußen, was es nie war. Und schon siehst du mich, wie auf dem Foto mit meiner Cousine und meiner Mutter. Ja, so war ich, nachdenklich und frech, aber nicht sehr, aber immer einem Traum nachhängend.

 

Dann treffe ich dich und wir spielen zusammen, tauschen Taschenmesser gegen große Glasmurmeln. Eine lange Strippe gegen einen blauen Stein, eine verrostete Eisenstange gegen eine alte Taschenlampe ohne Batterie. Wie haben wir nur den Tauschwert ermittelt, ach es war alles so ideell. Was waren uns die Dinge wert? Das, was sie uns lieb waren. Ach, diese Preise sind mir doch die liebsten.

 

Wir können spielen, ohne uns viel zu sagen, nur wenige Worte reichen, Blicke, Handbewegungen reichen, eine Geste. Was du tust, mache ich nach, was ich tue, vervollständigst du. Es entsteht etwas Gemeinsames, was es wird, wissen wir selbst noch nicht, ist ja auch egal, darauf kommt es gar nicht an. Die Handlung selbst zählt, obwohl wir nie etwas ohne Ziel tun, allein es ordnet sich immer mehr dem Augenblick unter.

 

Jetzt endlich hat es ein Gesicht bekommen. Es ist ein kleiner Kanal entstanden, ständig muß jemand Wasser in dem kleinen blauen Eimer mit dem weißen Rand holen, auf daß das Wasser nicht versickert. Das muß ich sein, ich lasse mich immer zu den Hilfsarbeiten breitschlagen. Du läßt inzwischen, das kleine Schiff zu Wasser, hast es im Kino gesehen, Stapellauf. Du hältst halbleise eine Rede, stark verkürzt, denn du bist ungeduldig, es soll nun endlich schwimmen. Eine kleine Flasche aus einem Kaufmannsladen hast du nun an die Seite nahe des Bugs geschlagen und schon rutscht das Schiff zu Wasser. Es ist ein kleiner Dampfschlepper aus Blech mit einem langen Schornstein, an dessen Spitze ein Emblem mit einem verschlungenen Seil und Anker aufgezeichnet ist. Im Führerhaus steht sogar die Puppe eines Steuermanns, ein Mann mittleren Alters mit einem bewegungslosen Gesicht, aber lustigen Augen und einer schwarzen Schiffermütze. Meine Phantasie haucht ihm Leben ein und du beginnst seine Stimme zu formen. Er soll jetzt etwas sagen. Du versuchst es ganz tief, wie Mädchen eben tief sprechen: „...ollzeit guute Foohrt ond immer oine Hondbroit Wosser onterm Kiel... Farewell du lieber Dampfer, foohre über olle Määäre und komme ümmer guuut on...“

 


Der Schiffer in seinem Häuschen scheint jetzt selbst mit dem Kopf zu nicken, so gut, so echt hat er gesprochen. Und ich renne immer noch mit den Wassereimern, daß der Dampfer wirklich immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel hat. Ach, wäre hier doch nur Lehmboden, ich könnte ihn auch mal schieben. Doch, du merkst es und – so gern du auch selbst den Schlepper schiebst, hast du doch mein innerstes Verlangen erkannt – auch mal der Kapitän sein... Du lachst mich an, ich sehe eine Zahnlücke, macht aber nichts, nimmst den Eimer und läufst nun selbst zur Pumpe, den Kopf zu mir nach hinten gewendet und rufend: „... paß auf, daß das Feuer im Kessel nicht ausgeht, daß er nicht strandet, sechs Strich Nord-Nordost und gleich kommt der Zoll, da mußt du anlegen.. warte, ich helfe dir, bin gleich wieder da, muß nur schnell neue Kohlen für die Dampfmaschine holen. Den Kopf hast du immer noch nicht nach vorn, du stolperst über die Wurzel des Ginkgobaumes, der dort gleich neben der Pumpe wächst. Mein Urgroßvater hat ihn anlässlich der Geburt seines ersten Sohnes gepflanzt. Du stolperst, fällst über die ganze Länge deines Körpers hin, aber bist gleich wieder auf den Beinen. Mit unbändiger Kraft, Unruhe und Zielstrebigkeit pumpst du den Eimer voll. Hier willst du nicht verweilen, obgleich doch Pumpen ein so beliebter Kinderspielplatz. Nein, du mußt zurück, zu schauen, ob wirklich alles so gerichtet, wie du es mir anbedungen.

 

Ja, ich hab alles so getan. Nichts gestrandet, der Kessel nicht aus, der Schiffer noch ernst auf seinem Posten. Jetzt das Wasser, das Schiff schwimmt wieder sehr frei, jetzt die Kohle und das Wasser für den Dampfkessel. Kommt nur noch der Zoll. Alles ist sonst gerichtet für die große Fahrt nach Schloma-Raja, dem Hafen der gelebten Kinderträume. Jetzt können auch wir an Bord gehen und auch ein bißchen die Beine lang machen und uns der Fahrt erfreuen. Und auch des Ziels....

 

2004-05-19 © Ole Pauperkotte